Große Retrospektiven - Fallbeispiel

Stellen Sie sich vor, Sie sind Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens mit knapp 300 Mitarbeitenden. Dank hochwertiger Produkte und ausgezeichnetem Kundenservice genießt Ihre Firma seit vielen Jahren einen guten Ruf. Sie wirtschaften profitabel und gelten als beliebter Arbeitgeber.
Dennoch verspüren Sie seit geraumer Zeit deutlichen Gegenwind. Zum einen sind Sie mit völlig neuen Kundenwünschen konfrontiert, zum anderen setzt Ihnen die Konkurrenz aus Asien zu, die das Preisniveau deutlich nach unten drückt. Selbstverständlich sind auch die Themen Digitalisierung und Agilität nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen. Ihre IT ist mittlerweile auf knapp 80 Leute angewachsen und Ihre Softwareentwicklungsteams arbeiten seit einem halben Jahr durchgehend nach Scrum.

Allerdings hat sich Ihre Gesamtleistung noch nicht wie erwartet verbessert. Im Gegenteil: Die Durchlaufzeit für die Entwicklung neuer Produkte ist sogar gestiegen und zuletzt war auch die Fehlerrate unerwartet hoch. Im Produktmanagement schlägt sich die neue Agilität vor allem darin nieder, dass die Roadmap beinahe im Wochenryhthmus verändert wird und der Vertrieb beschwert sich wiederum, dass die dem Kunden versprochenen Veränderungen viel zu lange brauchen. Kein Wunder, dass Ihre Support-Mitarbeiterinnen von einem signifikanten Anstieg von Beschwerden berichten.

Kurzum: Sie stehen unter Druck!

Warum sollten Sie in Ihrer Situation auf die Idee kommen, eine große, firmenweite Retrospektive durchzuführen? Beim Mittagessen mit einem alten Freund, der schön länger als CTO im agilen Umfeld arbeitet, kommen Sie unter anderem zu folgenden Antworten:

  • Ihre Entwicklungsteams führen zwar regelmäßig Retrospektiven durch, aus denen wichtige Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet und auch zuverlässig umgesetzt werden. Naheliegender Weise wird aber vor allem lokal optimiert.

  • Für globale Verbesserung reicht es allerdings nicht aus, nur einzelne Teams zu verbessern. Stattdessen braucht es ein Lernen, das sich am großen Ganzen orientiert und alle dafür relevanten Bereiche mit einbezieht.  

  • Um Ihr wichtigstes Ziel zu erreichen, nämlich die Time-to-market zu verkürzen, braucht es eine gute Koordination zwischen allen Experten, die in den Wertschöpfungsprozess involviert sind: vom Vertrieb über das Marketing, das Produktmanagement und die Entwicklung bis hin zum Support.

  • Um für den Kunden einen spürbaren Unterschied zu machen, benötigen Sie attraktive Geschäftsideen, aber auch geschmeidige Prozesse. Wenn Ihre Abläufe durch Behäbigkeit, lange Warteschleifen und wechselseitige Blockaden charakterisiert sind, wird unternehmerische Agilität nur schwer zu realisieren.

  • Wenn Sie Ihre gesamte Wertschöpfung steigern wollen, müssen Sie also alle Aktivitäten auf den Prüfstand stellen, die zwischen der ersten Geschäftsidee und dem zufriedenen Kunden liegen.

  • Sie müssen, mit anderen Worten, den ganzen Elefanten erkunden, um ihn mithilfe umsichtiger Maßnahmen zum Tanzen zu bringen. Dafür ist es unerläßlich, unternehmensweit zu lernen und gemeinsam die richtigen Hebelpunkte für eine gezielte Verbesserung zu identifizieren.

Doch kaum, dass Sie das „Wozu eine große Retrospektive?“ geklärt haben, brechen die Wie-Fragen wie eine Lawine über Sie herein: Wie gewinnen Sie Ihre Bereichsleiterinnen für dieses Experiment? Wer soll überhaupt daran teilnehmen? Wie gestalten Sie das Meeting? Wie stellen Sie sicher, dass alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen? Und wie kommt nach der Retro das richtige Feedback in die Organisation zurück? Um diesen Fragendschungel zu lichten, empfiehlt Ihnen Ihr CTO-Freund die Unterstützung eines agilen Unternehmensberaters, mit dem er bereits gute Erfahrungen gesammelt hat.

Die Vorbereitung

Schon am nächsten Tag rufen Sie den Berater an — und werten es als gutes Zeichen, dass dieser nicht nur erreichbar ist, sondern gleich Zeit für Ihr Anliegen hat. Noch positiver sind Sie am Ende Ihres knapp 45-minütigen Gesprächs: Aus Ihrer Sicht haben Sie alle wesentlichen Fragezeichen adressiert, richtungsweisende Antworten erhalten und klare Vereinbarungen getroffen. Wie versprochen senden Sie dem Coach noch einige Zusatzinformationen zu Ihrem Business-Kontext sowie die Ergebnisse der letzten Teamretros; und erhalten Ihrerseits bereits am nächsten Tag ein kurzes Gesprächsmemo sowie das konkrete Leistungs- und Kosten-Angebot des Beraters. Sie überfliegen beides und nicken bestätigend: So weit scheint alles klar.

Den Rest der halben Stunde, die Sie sich für das Thema reserviert haben, widmen Sie daher dem beigelegten Leitfaden. „Große Retrospektiven“ lautet die Überschrift, unter der Kernaufgaben und handlungsleitende Fragen aufgelistet sind.

Definieren Sie einen Sponsor.Wer steht für das gesamte Vorhaben ein und tut alles dafür, um den Return on Investment zu maximieren? Nun, dieser Sponsor sind zweifellos Sie!

Überprüfen Sie Ihre Zielsetzung. Was genau wollen Sie mit diesem Meeting erreichen? Und woran erkennen Sie, dass Sie das gewünschte Ergebnis erzielt haben? Rasch greifen Sie zum Stift, um sich noch einmal, sozusagen schwarz auf weiß vor Augen zu führen, was Sie mit Ihrer großen Retrospektive erreichen wollen — und woran Sie erkennen, dass sich der angestrebte Impact tatsächlich einstellt.

Überlegen Sie, wer für die operative Umsetzung dieses Vorhabens verantwortlich sein soll. Wer kann die professionelle Vorbereitung und Durchführung sicherstellen? Und wer sorgt für den bestmöglichen Transfer? Auch hier müssen Sie nicht lange nachdenken. In einem Schwung erstellen Sie eine Liste mit den Namen derer, die Sie dafür gewinnen wollen. Dabei achten Sie bewusst darauf, dass in dieser Gruppe Leute aus verschiedenen Bereichen und Funktionen vertreten sind, damit Sie bereits im Vorfeld für Perspektivenvielfalt sorgen. Zudem wollen Sie Ihre interne Organisationsentwicklerin als zentralen Ansprechpartner für den externen Berater gewinnen, der die Gesamtverantwortung für den Prozess trägt. Sie überprüfen noch einmal kurz Ihre Notizen — dann senden Sie unter dem Betreff „Experimentierfreunde gesucht!“ Ihre Einladung für ein initiales Vorbereitungsmeeting aus.

Suchen Sie das persönliche Gespräch. Wie gewinnen Sie die Leute für Ihr Verbesserungsexperiment? Was sollten Sie vorweg, idealerweise face to face klären? Welche Aktionen helfen Ihnen den nötigen sense of urgency zu stärken? Beschränken Sie Ihre Information nicht auf ein formelles Mail. Suchen Sie stattdessen den direkten Kontakt zu den Leuten, die Sie für Ihr Vorhaben gewinnen wollen, erzählen Sie von Ihren Ideen und holen Sie sich Feedback ein! Darüber hinaus sollten Sie sich überlegen, in welchen Regelmeetings Sie das Thema bereits jetzt platzieren. All das dient Ihnen dazu, die richtigen Weichen zu stellen und schon das erste gemeinsame Meeting möglichst fokussiert zu halten.

Gehen Sie gemeinsam alle wesentlichen Aspekte der geplanten Retro durch.Was soll im Vorbereitungsmeeting zur Sprache kommen? Was müssen Sie alles klären? Welche Vereinbarungen treffen Sie? Zu Beginn Ihres Vorbereitungsmeetings umreißt Ihr Berater folgende Agenda: „Fokus“, „Teilnehmende“, „Rahmen“, „Ablauf“, „Transfer“, „Nachbearbeitung“. Nachdem Sie kurz das bereits im Vorfeld kommunizierte „Wozu eine große Retrospektive?“ in Erinnerung gerufen haben, gehen Sie gleich in medias res: Wer soll bei dieser Retro dabei sein? Wen braucht es unbedingt, um Ihre Ziele zu erreichen? Und wen dürfen Sie ungestraft weglassen? Erfreulicherweise dauert die Klärung dieser Fragen keine 20 Minuten. Zum einen sind alle mit der Idee eines Delegiertensystems einverstanden, zum anderen ist man sich rasch einig, wen man dafür gewinnen und wie man dabei vorgehen will. Der Rahmen ist ebenfalls im Handumdrehen abgesteckt: für die rund 40 Delegierten, die Sie aus den verschiedenen Unternehmensbereichen einladen wollen, werden Sie Ihren internen Konferenzraum buchen, den Sie sonst hauptsächlich für Weihnachtsfeiern oder Firmenjubiläen nutzen. Sie sind gespannt darauf, diesen Raum einmal völlig anders zu bespielen! Jedenfalls erfüllt er die vom Berater definierten Anforderungen: Er ist ausreichend groß (150m2), kann flexibel eingerichtet werden (inklusive der Stehtische, auf die Sie besonderen Wert legen) und verfügt über alle Features, die für die Ausstattung gebraucht werden (Screens, Tonanlage, gutes Licht, Flipcharts, Whiteboards, Moderationsmaterial). Auf Anraten des Beraters gehen Sie zeitlich von einem Zeitrahmen von 5 Stunden inklusive Pausen aus. Außerdem gefällt Ihnen dessen Anregung, direkt nach der Retrospektive zu einem kleinen Umtrunk zu laden, damit das Meeting informell ausklingen kann. Bevor Sie Ihre interne Vorbereitungsgruppe damit betrauen, gemeinsam mit dem Berater einen ersten Moderationsplan auszuarbeiten, stecken Sie noch einige Eckpfeiler für das Danach ab: schriftliche Infos an alle, Dropbox link zur Fotodokumentation, schriftliche Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse im Intranet, persönliches Feedback der Delegierten im Rahmen der nächsten Regelmeetings. Schließlich checken Sie noch Ihren Kalender, um einige Optionen für das „Save the Date“ zu finden, das Sie noch heute an alle Delegierten aussenden wollen. Bevor Sie auseinander gehen, erinnern Sie noch an die Wichtigkeit der persönlichen Kommunikation, für die nunmehr alle Mitglieder der Vorbereitungsgruppe verantwortlich sind.

Prüfen und verbessern Sie den Moderationsplan — und alle Rahmenbedingungen.Welche Eckpfeiler sind gesetzt? Was machen Sie als Sponsor? Wie wird moderiert? Welcher Arbeitsfluss wird verfolgt? Wie vereinbart, treffen Sie sich eine Woche später  zu einem finalen Abstimmungsmeeting mit der Vorbereitungsgruppe. Vor Ihnen steht eine große Tafel mit einer matrixartigen Struktur. „Zeit“, „Inhalt“, „Struktur“, „Ziel“ lesen Sie auf der horizontalen Achse, während in vertikaler Richtung das konkrete Vorgehen mithilfe verschiedenfarbiger Post-its abgesteckt ist. LINK ZU MOD-PLAN??? In einer kurzweiligen Doppelconference führen Sie zwei Mitglieder der Vorbereitungsgruppe durch den ausgearbeiteten Flow. Der Berater hält sich im Hintergrund, nur ab und an steuert er einige Erfahrungswerte bei. Das Programm spricht Sie sofort an: eine klare Struktur, viel Interaktion, ein dynamischer Wechsel unterschiedlicher Arbeitsformen und ein klarer Zug zum Tor im Sinne konkreter Ergebnisse. Trotz des positiven Echos erarbeiten Sie im Laufe der Diskussion noch einige Verbesserungsvorschläge, insbesondere was das Time-Boxing und die Fokussierung auf die zentralen Themen betrifft. Die Gruppe verspricht, diese Vorschläge gleich am nächsten Tag einzuarbeiten, sodass der offiziellen Einladung nun nichts mehr im Wege steht.

Finalisieren Sie Ihre Vorbereitungsarbeiten. Wie reagieren die Mitarbeiterinnen, die Sie zur Retro einladen? Welche Reaktionen gibt es in den Meetings, wo das Vorhaben zur Sprache kommt? Wie berücksichtigen Sie das erhaltene Feedback in Ihrem Gesamtkonzept? Und was muss alles organisiert werden, damit die große Retro wie geplant stattfinden kann? Es liegt in der Natur der agilen Sache, dass Ihnen bis zur Umsetzung noch weitere Verbesserungsideen unterkommen. Sie vertrauen darauf, dass die wichtigsten Dinge berücksichtigt werden. Ebenso, wie Sie darauf vertrauen, dass alle notwendigen Organisationsarbeiten durchgeführt werden, sodass einer kraftvollen Durchführung nichts im Wege steht.

Die Durchführung

Richten Sie die Bühne ein.Wie ist der Raum ausgestattet? Was passiert, wenn die Teilnehmenden ankommen? Welche Steh- und Sitzordnung gibt es? Als Sie durch den Flur in Richtung Konferenzraum eilen, weht Ihnen bereits schwungvolle Musik entgegen. Im Raum selbst herrscht konzentrierte Betriebsamkeit: Auf der linken Seite werden noch Plakate geschrieben, während auf den Ablagetischen auf der rechten Seite Stifte und Karten ausgebreitet werden. Weiter hinten rücken Ihre Organisationsentwicklerin und der externe Coach lachend einige Stehtische zur Seite. Sie können es kaum erwarten, dass sich der leere Raum vor Ihnen mit Leuten füllt! Wenig später stecken Sie ein letztes Mal die Köpfe zusammen: Nein, es gibt keine weiteren Fragen zum Ablauf — und ja, alle aus dem Vorbereitungsteam fühlen sich startklar!

Während Sie sich gleich darauf noch ein paar Stichworte zu Ihrer Eröffnungsrede machen, treffen schon die ersten Teilnehmenden ein. Nach der intensiven Vorbereitungsphase geht es nun endlich los.

Legen Sie kraftvoll los. Wie eröffnen Sie das Meeting? Wie werden die Anwesenden aktiviert? Welche Rahmenbedingungen werden gesetzt? Als Sie das Meeting offiziell starten, ist Ihnen fast ein wenig feierlich zumute. Nicht nur für die anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch für Sie selbst ist das die allererste firmenweite Retrospektive! Wie vereinbart sagen Sie auch ein paar Worte zum Wozu? „Der Beginn einer neuen Ära des gemeinsamen Lernens“, schließen Sie Ihre kurze Rede ab, „das uns hilft, das ganze Unternehmen besser auf den Kunden auszurichten — und gleichzeitig dabei hilft, uns die Arbeit zu erleichtern.“ Der kräftige Applaus, der ertönt, kommt unerwartet. Doch Sie haben kaum Zeit, in den Gesichtern vor Ihnen zu lesen (Neugier? Erstaunen? Vorfreude?), denn schon laden die beiden Raummoderatorinnen zum ersten Austausch ein. „Speed Dating zur Frage: Was beschäftigt mich derzeit am Stärksten?“ verkündet der externe Coach und Ihre Organisationsentwicklerin fügt hinzu: „3 x 3 Minuten mit drei verschiedenen Gesprächspartnern, mit denen Sie schon länger nicht mehr geredet haben.“ Im Handumdrehen füllt sich der Raum mit intensivem Stimmengewirr — und ehe Sie es sich versehen, sind Sie selbst ein Teil davon. Alle drei Minuten weist ein heller Gong darauf hin, dass Zeit zum Partnerwechsel ist. Irgendwie erinnert Sie das Ganze an einen gut choreographierten Tanz. Nach dem letzten Gong bedanken sich die Moderatoren für den energievollen Auftakt. Dann werden kurz die Agenda, der organisatorische Rahmen und einige Regeln erläutert. Keine fünf Minuten später finden Sie sich bereits in der nächsten Arbeitsphase wieder.

Tauschen Sie sich über ihre Erfahrungen aus. Wie gestalten Sie den gemeinsamen Rückblick? Wie sorgen Sie für ein möglichst übersichtliches Gesamtbild? Und auf welche unternehmerischen Herausforderungen fokussieren Sie? „Was ist in den letzten Monaten gut gelaufen? Was ist nicht gut gelaufen? Und was ist die wichtigste Herausforderung, die wir unbedingt meistern sollten?“, lautet der nächste Auftrag. Dafür sollen sich gut gemischte Gruppen mit maximal acht Mitgliedern zusammen finden, die jeweils von einem Vertreter der Vorbereitungsgruppe moderiert werden. Rasch werden die Hochtische und -stühle im Raum verteilt und schon geht es los. Damit alle zu Wort kommen und aus einer möglichst breiten Palette an Erfahrungen geschöpft werden kann, redet man zuerst paarweise miteinander und hält die beiden wichtigsten Antworten zu den drei Fragen stichwortartig auf Stickies fest. Diese werden dann nacheinander vorgestellt und über ein gemeinsames Dot-Voting priorisiert. Die sechs Stickies mit den meisten Punkten werden schließlich von einer Gruppensprecherin im Plenum präsentiert.

Verbinden Sie Einsicht mit Ausblick.Welche Herausforderungen werden für eine genauere Bearbeitung ausgewählt? Wie genau erfolgt diese Bearbeitung? Und wie kommen Sie am Ende zu konkreten Verbesserungsvorschlägen? Während die Anwesenden in Richtung Kaffeemaschinen strömen, nützen Sie die erste Pause für eine erste Übersicht. In Windeseile hat die Vorbereitungsgruppe die präsentierten Antworten auf drei Pinwänden versammelt, geclustert und mit prägnanten Überschriften versehen. Die insgesamt fünf Herausforderungscluster bilden die Grundlage für die nächste Phase, die mit einem gemeinsamen Standup vor den drei Boards beginnt. Wie vereinbart bedanken Sie sich für die Offenheit und kommentieren dann kurz die positiven wie die negativen Erfahrungen — was Ihnen leicht fällt, da auf den beiden Tafeln nichts zu finden ist, das Sie nicht nachvollziehen können. Danach stellen die Moderatorinnen den nächsten Arbeitsschritt vor, nämlich die Auswahl der Herausforderungen, die lösungsorientiert bearbeitet werden sollen. Diese Auswahl läuft über das sogenannte Hosting-Prinzip, das heißt es werden jeweils zwei Personen gesucht, die als gemeinsam Gastgeber die Verantwortung für eine konstruktive Diskussion übernehmen. „Was liegt dieser Herausforderung zugrunde? Und was konkret können wir tun, um diese möglichst nachhaltig zu meistern?“, wird das gewünschte Ergebnis abgesteckt, für dessen Erreichung ganze 45 Minuten zur Verfügung stehen. Unter dem Motto „Maßnahmen-Sponsoring“ soll jede Gruppe am Ende Ihre Top 3-Vorschläge auf A4-Blättern visualisiert haben und bereit für eine neue Runde plenarer Vernetzung sein.

Präsentieren Sie die ausgearbeiteten Maßnahmen.Welche Vorschläge werden vorgestellt? Wie generieren Sie Feedback dazu? Und wie kommen Sie zu richtungsweisenden Entscheidungen? Sie deuten es als gutes Zeichen, dass es keine Minute dauert, bis alle Cluster vergeben sind. Ja, während sich die Hosts der verschiedenen Themen mit ihren Gästen zu ihrem neuen Arbeitsplatz bewegen, spüren Sie fast so etwas wie Aufbruchstimmung: Endlich werden einige der großen Impediments in Angriff genommen, die seit Monaten durch Ihre Firma geistern! Beruhigt stellen Sie noch fest, dass auch der Hinweis, möglichst cross-funktionale Arbeitsgruppen zu bilden, berücksichtigt wurde; dann tauchen Sie selber in einen der Diskussionsprozesse ein. Gut, dass die Vorbereitungsgruppe angemessene Zeitpuffer eingeplant hat, sodass nicht ausgerechnet am Ende Stress aufkommt, wo es um richtungsweisende Entscheidungen geht. Nach einer knappen Stunde ist es schließlich soweit, dass die erste Arbeitsgruppe Ihre Top 3-Vorschläge vorstellt. Es spricht für Ihre Leute, dass sich nicht nur die erste Gruppe, sondern auch alle anderen an die vorgegebene Präsentationszeit von maximal 3 Minuten hält. Außerdem gefällt es Ihnen, dass nun wieder neue Leute präsentieren, sodass es auch im Plenum eine erstaunliche Stimmenvielfalt gibt. Inhaltlich gibt es, ähnlich wie bei der Informationssammlung, einige Überschneidungen: gleich vier Maßnahmen gehen in eine ähnliche Richtung (Fokus „team- und bereichsübergreifende Koordination optimieren“), drei Vorschläge zum Thema „unternehmensweit Transparenz schaffen“ und auch das Thema „Flight Levels“ taucht wieder auf. Scheinbar hat letzteres auch mit den beiden anderen zu tun und gilt als vielversprechender Katalysator für Business Agility. Daneben gibt es noch einige Verbesserungsvorschläge, die Ihrer Meinung nach nur wenig Aufwand bedeuten und sofort umgesetzt werden können.

Nützen Sie die Pause, um sich abzustimmen. Welche Resonanz lösen die Vorschläge in Ihnen aus? Was meinen die Tisch- und Raummoderatorinnen dazu? Und wie nutzen Sie die versammelte unternehmerische Intelligenz, um zu möglichst guten Entscheidungen zu kommen? Einmal mehr ist die Zeit, in der sich die Teilnehmenden eine kleine Auszeit gönnen, eine wertvolle Ressource für Sie. Sie nützen die offizielle Pause, um sich mit der Vorbereitungsgruppe über die vorgelegten Vorschläge zu beraten. Wie vereinbart helfen alle zusammen, um nicht nur Übersicht, sondern auch eine gemeinsame Einschätzung zu schaffen, was davon besonders vielversprechend erscheint, was noch genauerer Diskussion bedarf und was derzeit nicht zielführend ist.

Geben Sie Raum für Feedback und Klärung.Welche Resonanz lösen die Vorschläge aus? Was meinen die einzelnen Tischgruppen dazu? Und wie sorgen Sie für einen offenen Austausch, bevor Sie sich entscheiden? Auch große Retrospektiven stehen und fallen damit, dass konkrete Entscheidungen getroffen werden. Fragt sich bloß, was die richtigen Entscheidungen sind. Um zu möglichst überzeugenden Antworten zu kommen, setzen Sie auf zwei Feedbackschleifen: erstens auf eine, die nochmals an den Tischen stattfindet, und eine zweite in einem sogenannten „Panel of Experts“. Zu letzterem sind jeweils eine Vertreterin von jedem Tisch, zwei Tischmoderatoren und natürlich Sie selbst eingeladen. Zudem gibt es in dem Halbkreis auf der Bühne einen offenen Stuhl, der jederzeit für Impulse von außen genützt, aber nicht dauerhaft besetzt werden kann. Wie die beiden Raummoderatorinnen erläutern, geht es um zwei Fragen: 1.) „Was spricht uns am Stärksten an?“ und 2.) „Was sollte noch geklärt werden, damit wir die Weichen in Richtung Verbesserung möglichst gut stellen?“ Wie erwartet verläuft die Diskussion konstruktiv, aber durchaus hitzig. Immerhin geht es dabei um einiges!

Treffen Sie mutige Entscheidungen. Wer übernimmt die Verantwortung für die weitere Ausrichtung? Welche Maßnahmen halten Sie am Ende für die vielversprechendsten? Und wie sorgen Sie hier und jetzt für klare Verhältnisse? Nach dem Ende der für das Panel reservierten 20 Minuten ist eines klar: Als Geschäftsführerin obliegt es Ihnen, hier und jetzt für richtungsweisende Entscheidungen zu sorgen. Dafür nützen Sie ein einfaches Ampelsystem: drei der kleineren, nach einhelliger Meinung mit überschaubarem Aufwand verbundenen Maßnahmen-Cluster stellen Sie sofort auf grün, bei zwei weiteren Vorschlägen, die offenkundig mit diesen Flight Levels zu tun haben, verkünden Sie ein Orange, da Sie sich dazu erst noch schlauer machen wollen, bevor Sie hier investieren. Im Namen der gesamten Vorbereitungsgruppe, die - so eine der vorgeschlagenen Maßnahmen - als Organisationsentwicklung-Gilde weitergeführt werden soll, committen Sie sich jedoch dazu, auch diesbezüglich innerhalb der nächsten vier Wochen eine definitive Entscheidung zu treffen und an alle zu kommunizieren. Am Ende setzen Sie die zwei verbliebenen Maßnahmen bewusst auf Rot, da Ihnen diese derzeit nicht zielführend erscheinen. Sie schließen Ihre richtungsweisende Ansprache mit dem nochmaligen Hinweis darauf, dass es nicht bei dieser einmaligen Retrospektive bleiben werde. Stattdessen wollen Sie das als Auftakt für einen nachhaltigen Verbesserungsprozess sehen, über den Sie alle ab sofort im Monats-Rhythmus auf dem Laufenden halten wollen.

Sorgen Sie für einen kraftvollen Abschluss. Wie schließen Sie Ihre große Retrospektive ab? Wie sorgen Sie für ein energievolles Ende? Und wie holen Sie sich Feedback, um Ihr Experiment zu validieren? Ein letztes Mal tritt das Moderationsduo in Aktion: unter dem Titel „Feedback-Trios“ laden sie zu einer interaktiven Abschlussrunde ein, bei der es um die Beantwortung von drei Fragen geht. „Was hat mir an der heutigen Retrospektive gefallen?“ „Was könnten wir beim nächsten Mal besser machen?“ „Was sollten wir alle besonders beachten, wenn wir unser Unternehmen nachhaltig verbessern wollen?“ Die 3er-Gruppen werden gebeten, Ihre wichtigsten Antworten noch einmal auf Stickies festzuhalten und auf der Rückseite der drei Infosammlungs-Boards zu versammeln. Während nach und nach Stickies geliefert werden, helfen die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe direkt an den Tafeln, die eingebrachten Rückmeldungen gleich möglichst übersichtlich zu ordnen. Als Sie schließlich ein letztes Mal Ihres Amtes als Geschäftsführerin walten, um sich bei allen Anwesenden für Ihren heutigen Einsatz zu bedanken, verschlägt es Ihnen beinahe die Sprache angesichts der Vielzahl an positiven Kommentaren. „Ich bin schwer beeindruckt“, sagen Sie wahrheitsgemäß, während Sie jetzt viel mehr erfreute, lächelnde und neugierige Gesichter wahrnehmen als zu Beginn der Retro. „Und nach dem heutigen Nachmittag auch total zuversichtlich, dass wir auf dem richtigen Weg zu umfassenden Verbesserungen sind!“

Die Nachbereitung

Do Food. Wie sorgen Sie dafür, dass mit dem Ende der Retro nicht alle Teilnehmenden davon laufen? Wie bringen Sie Ihre Wertschätzung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck? Und wie belohnen Sie sich dafür? Während Sie noch mit dem offiziellen Abschluss der Retro beschäftigt waren, haben Mitarbeiter Ihrer Betriebskantine bereits mit den Aufbauarbeiten begonnen. Heimlich, still und leise haben Sie im Hintergrund ein reichhaltiges Buffet mit unterschiedlichen Getränken und kulinarischen Köstlichkeiten bereitet.

Den Spruch auf dem über dem Buffet angebrachten Plakat „Bitte zugreifen und genießen!“ lassen sich viele nicht zweimal sagen.

Informelles Netzwerken. Wie nützen Sie den informellen Teil, um den Kontakt mit den Kolleginnen zu stärken? Was tun Sie, um etwas mehr über die aktuellen Gedanken und Stimmungen in Erfahrung zu bringen? Und sich gemeinsam über das Erreichte zu freuen? Zweifelsohne klingt es immer ein wenig falsch, wenn man nicht nur den formellen, sondern auch den informellen Teil plant. Aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung wissen Sie jedoch nur zu gut, dass viele wichtige Dinge abseits der Meetings passieren. Deswegen haben Sie sich bereits im Vorfeld darauf verständigt, die professionelle Kommunikation nicht auf Ihre große Retro zu beschränken, um dann sogleich in den Party-Modus zu wechseln. Stattdessen versuchen Sie ebenso wie alle anderen Mitglieder der ins Leben gerufenen Organisationsentwicklung-Gilde gezielt mit einigen Leuten in Kontakt zu kommen, die in Ihrem Unternehmen als kritische Geister gelten.

Die Dokumentation.Wie stellen Sie sicher, dass alle wesentlichen Ergebnisse gesichert werden? Welche Artefakte werden fotografiert? Was wird eingesammelt, um in der Folge weiterbearbeitet werden zu können? Neben dem Netzwerken stehen indes auch noch einige Hausaufgaben an. Eine der wichtigsten besteht darin, eine saubere Dokumentation zu gewährleisten. Gemeinsam überprüfen einige Mitglieder der Vorbereitungsgruppe, ob alle Artefakte fotografiert und ordnungsgemäß in dem vorbereiteten Dropbox-Ordner abgespeichert wurden. Später würde dieser Ordner nochmals in aller Ruhe überarbeitet, mit den Anwesenden geteilt und schließlich auch jenen zugänglich gemacht werden, die nicht an der Retro teilgenommen haben.

Eine kurze Manöverkritik.Welche Eindrücke überwiegen am Ende der Retrospektive? Welche Highlights haben die Moderatorinnen erlebt? Was war besonders herausfordernd? Und worauf gilt es in der Folge zu achten? Wie vereinbart treffen Sie 45 Minuten nach dem Ende der Retro zu einem kurzen Standup mit der Vorbereitungsgruppe zusammen. „Feedback und Feed-forward“ verkündet der externe Coach und schlägt ein kurzes Go-Around vor, bei dem alle nacheinander Ihre wichtigsten Eindrücke pointieren. Was war in den letzten Stunden besonders eindrucksvoll? Und womit sollte sich die Gruppe in der Folge noch genauer beschäftigen? In nicht einmal 15 Minuten haben Sie eine Menge Ahas ausgetauscht und einige interessante Zwischenergebnisse festgehalten.

Das Festlegen weiterer Schritte.Was genau passiert nach der Retro? Wer kümmert sich um einen guten Informationsfluss? Wie sorgen Sie nach der kurzfristigen Manöverkritik auch für eine differenzierte Reflexion mit etwas mehr Abstand? Und vor allem: wie erhalten Sie das Momentum, um die angestrebten Verbesserungen tatsächlich umzusetzen — und kontinuierlich daraus zu lernen? Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten zu Ihrer ersten großen Retro haben Sie natürlich auch über das Danach gesprochen. Sie erinnern sich nur allzu gut an die eindringlichen Worte des externen Coaches, dass sich die tatsächliche Qualität der Auseinandersetzung erst in den folgenden Wochen und Monaten zeigt. Erfolg ist, was Folgen hat, haben Sie seinen Stehsatz noch im Ohr — ebenso wie den Hinweis, dass man für diesen Erfolg einiges tun könne. Dementsprechend haben Sie im Vorfeld nicht nur den weiteren Informationsprozess geplant, sondern auch die Fortsetzung jener professionellen Lernschleifen, die Rückschau, Einsicht und Ausblick kongenial verbinden. Mit anderen Worten eine differenzierte Retro der Retro, bei der es um mittelfristige lessons learned, aber auch darum geht, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu monitoren. Darüber hinaus freuen Sie sich schon auf Ihr persönliches Meeting mit dem externen Coach, bei dem es vor allem um die Reflexion Ihrer eigenen Rolle gehen wird. Aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte….

Wer Interesse an einer übersichtlichen Zusammenfassung des erwähnten Leitfadens und/oder des ausgearbeiteten Moderationsplans hat, möge uns unter office@loop-beratung.at kontaktieren.

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