Agile Beratung

Wer A wie Agilität sagt, sagt meistens auch B wie Beratung. Die professionelle Unterstützung agiler Veränderungsprozesse scheint aus keinem Unternehmen wegzudenken. Doch auch das, was gemeinhin als agiles Coaching bezeichnet wird, hat sich gewandelt. Lange Zeit ging es vor allem um die Vermittlung von Fachexpertise (Stichwort zertifizierte Trainings), um neue Formen der Zusammenarbeit (Stichwort Cross-Funktionalität), um Arbeitsmethoden (Stichwort Scrum) oder um Rollen (Stichwort ScrumMaster) zu etablieren. Der Fokus lag dabei vor allem auf Einzelpersonen und Teams.

Mit dem Erfolg des agilen Vorgehens ist indes auch das Interesse an größeren Lösungen gewachsen. Spätestens mit der Adaption agiler Vorgehensweisen durch Konzerne wie Raiffeisen, Lufthansa oder Swisscom waren angemessene Skalierungsverfahren gefragt. Große Unternehmen zu agilisieren bringt natürlich eine wahre Explosion von Komplexität mit sich — und damit, die VUKA-Welt läßt grüßen, ein hohes Maß an Verunsicherung. Die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche spitzt die Frage zu, wie denn erfolgsversprechende Geschäftsmodelle für die Zukunft aussehen können und was diese Modelle für Organisation und Führung bedeuten.

Dementsprechend populär sind Lösungsansätze, die erst gar keine große Unsicherheit aufkommen lassen. Schon ihre Namen suggerieren Positives: sei es nun Sicherheit, wie das Scaled Agile Framework SAFe, Vereinfachung wie der Large Scale Scrum-Ansatz LeSS oder Ganzheit wie Holacracy. Dafür werden detaillierte Konzepte vorgelegt, wie die Organisation, die Rollen und die Interaktionen gestalten werden — bis hin zu einer expliziten Verfassung, der man sich gewissermaßen mit Haut und Haar verschreibt.

Wir fragen uns allerdings, wie viel standardisierte Veränderungspläne mit agilen Prinzipien zu tun haben:

  • Wie sehr respektieren sie die jeweilige Ist-Situation mit ihren spezifischen Problemen? 

  • Wie gehen sie mit den vorhandenen Erfahrungen und Verbesserungsideen um, wenn doch die Lösung von vorne herein feststeht? 

  • Wie sehr ist den jeweiligen Skalierungsexperten daran gelegen, sich an den spezifischen Bedürfnissen ihrer Kunden auszurichten? 

  • Und wie stark werden diese, apropos Ko-Kreation, an der Entwicklung eines maßgeschneiderten Organisationsmodells beteiligt? 

  • ((Spezieller Kontext, inkl. Politische Verhältnisse, ungeschriebene Regeln, persönliche Netzwerke))

Wenn Geschäftsdruck wie Steuerungsunsicherheit steigen, verkaufen sich fertige Lösungsmodelle offensichtlich gut. Unserer Erfahrung nach kauft man sich damit jedoch zumindest zwei Probleme ein: erstens das Problem des Widerstands -- schließlich gilt nach wie vor, dass sich Leute viel weniger gegen die Veränderung wehren, als dagegen verändert zu werden; und zweitens das Problem der Passivität -- schließlich entlässt man ManagerInnen wie MitarbeiterInnen weitgehend aus der Verantwortung, ein maßgeschneidertes Organisationsdesign zu gestalten.

Agilisierung läßt sich jedoch sehr wohl nach agilen Prinzipien gestalten. Dafür hilft eine undogmatische, sich nicht von vorne herein auf eine bestimmte Lösung festlegenden Haltung. Sie folgt dem Anspruch, die Einzigartigkeit des Unternehmens als Ausgangspunkt und die Intelligenz und Einsatzbereitschaft der Mitarbeitenden als Treiber für die gewünschte Verbesserung zu nehmen. Obgleich ein agiles Organisationsdesign immer vom konkreten Kontext abhängt, haben sich in der Praxis einige Interventionen bewährt:

  • eine gemeinsame Bestandsaufnahme, die nicht nur im Top-Management, sondern in fach- wie hierarchieübergreifenen Gruppen von Schlüsselkräften aus allen Unternehmensbereichen erfolgt (Stichwort unternehmensweite Retrospektive)

  • die Visualisierung der aktuellen Geschäftsprozesse, um eine möglichst gute Übersicht über Strategie, taktische Koordination und operative Umsetzung zu schaffen (Stichwort Flight Levels)

  • die Konzentration auf wertgenerierende Abläufe, die alle involvierten Bereiche und Spezialisten auf konkrete Kundenbedürfnisse ausrichtet (Stichwort Ende-zu-Ende Wertschöpfung) 

  • die Schaffung von Rahmenbedingungen, die den Expertinnen und Experten ausreichend Gestaltungs- und Entscheidungshoheit verschafft(Stichwort Selbstorganisation)

  • die Durchführung von gezielten Veränderungsexperimenten, um mit überschaubaren Aktionen für eine messbare Verbesserung des operativen Business zu sorgen (Stichwort Minimum Viable Changes)

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