Was Manager von Selbstorganisation haben

In der Diskussion über neue Arbeitsformen wird das derzeitige Management oft als Hindernis betrachtet: Manager kommandieren zu viel und kommunizieren zu wenig, sie agieren bürokratisch und verhindern Kreativität, die nun einmal vom Freiraum lebt und nicht von der Vorschrift. Kurzum: Was Manager üblicherweise tun, gilt als fragwürdig, wenn nicht als rundweg falsch.

Selbstorganisation erscheint vielen als richtungsweisende Strategie, um diese Blockaden zu überwinden. Schließlich lebt sie von der offenen Kommunikation, der intensiven Zusammenarbeit miteinander wie mit Kunden und einem hohen Maß an Selbststeuerung. In selbstorganisierten Teams zählt die jeweilige Fach- und Situationskenntnis mehr als die hierarchische Position - Führung wird zum Teamsport.

So weit so gut. Allerdings übersieht so mancher, dass Selbstorganisation nicht ohne Management zu haben ist. Sie ist nämlich, wie wir in unserem Gespenster-Blog dargelegt haben, von den Rahmenbedingungen abhängig, innerhalb derer sie stattfindet. Es ist die Aufgabe des Managements, diese Bedingungen so zu gestalten, dass alle ihren bestmöglichen Job machen können. Das betrifft die Infrastruktur, die Informationsflüsse und Kommunikationswege, die Verantwortlichkeiten und Entscheidungsregeln, kurzum: all jene Dinge, die sich der Kontrolle der Fachexpertinnen und -experten entziehen. Während letztere im System arbeiten, konzentrieren sich Managerinnen auf die Arbeit am System.

In vielen Unternehmen entspricht das nicht der Arbeitsrealität. Stattdessen stehen nach wie vor zentrale Befehlsausgabe, persönliche Kontrolle und Mikromanagement auf der Tagesordnung. Doch wozu sollten Manager daran etwas ändern? Was könnte sie dazu veranlassen, den angezeigten Wandel in Angriff zu nehmen? Und warum muss es dann ausgerechnet Selbstorganisation sein?

Weil der Wandel nunmal das einzig Konstante ist, könnten wir gleich mal mit einem Kalenderspruch antworten. Weil wir in der VUKA-Welt leben und die aktuellen Herausforderungen nicht mit den Patentrezepten des 20. Jahrhunderts gemeistert werden können, wäre eine weitere Antwort. Oder weil Agilität eben nur mit einem neuen Führungsverständnis umzusetzen ist.
Unserer Erfahrung nach gibt es indes ganz persönliche Gründe, sich als Managerin auf Selbstorganisation einzulassen — immerhin haben sie dadurch einiges zu gewinnen:

  • Fokussierung: Sich auf weniger Dinge konzentrieren können statt überall mitmischen zu müssen, auf klare Arbeitsteilung setzen, den Expertinnen und Experten das Management des Arbeitsalltags überlassen, um sich selbst dem Kontextmanagement, der laufenden Verbesserung der Rahmenbedingungen, der Beobachtung und dem Feedback zu widmen.

  • Entlastung: Nicht auf 1000 verschiedenen Baustellen mitmischen, Führungsaufgaben abgeben, Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen, Abläufe vereinfachen, Organisation verschlanken.

  • Gestaltungsräume: Plötzlich zu dem zu kommen, was viele Managerinnen als “wirklich wichtig” sehen — etwa Strategiearbeit, Innovation, fachliche Weiterentwicklung oder Vernetzung (auch über den eigenen Bereich und das Unternehmen hinaus).

  • Bessere Zusammenarbeit: Partnerschaftliche Beziehungen statt Über- und Unterordnung, Kooperation auf Augenhöhe statt persönliche Abhängigkeiten, offene Auseinandersetzung jenseits von Furcht und Kontrolle, gemeinsame Organisationsentwicklung.

  • Selbstwirksamkeit: den eigenen Beitrag zum Erfolg des Ganzen besser sehen, für andere einen Unterschied machen, im direkten Austausch bleiben, große Ergebnisse ermöglichen.

  • Experimentierfreude: Gestalten statt verwalten, neue Dinge ausprobieren, unerwartete Erfahrungen machen, sich Zeit für das Lernen nehmen, sich immer wieder auf unsichere Situationen einlassen und dadurch eine gewisse Sicherheit gewinnen.

  • Persönliche Entwicklung: Eigene Stärken kultivieren, eine andere Führungsphilosophie leben, auf Augenhöhe arbeiten, gemeinsame Verbesserungen umsetzen.

  • Karriere: Erfahrungen mit Selbstorganisation sammeln, agile Systeme gestalten, Managementpraktiken verbessern und damit den eigenen Wert am Stellenmarkt erhöhen.

Immer mehr Manager finden diese Perspektiven reizvoll. Falls Sie auch dazu gehören, ist das erfreulich. Es sollte Ihnen jedoch auch klar sein, dass Sie die genannten Gewinnoptionen nicht frei Haus geliefert bekommen. Sie ergeben sich weder automatisch, wenn Teams gestärkt oder agile Entwicklungsmethoden eingesetzt werden, noch lassen sie sich aus der aktuellen Komfortzone entwickeln. Wie Praktikerinnen und Praktiker berichten, braucht es stattdessen eine gehörige Portion Veränderungsbereitschaft. Agiles Management ist nicht ohne Einsatz, Mut und Disziplin zu haben. Das reicht vom Grundverständnis von Führung als Dienstleistung bis zur notwendigen Geduld für die schrittweise Entwicklung einer anderen Kultur. Das Gras wächst bekanntlich nicht schneller, wenn man daran zieht.

Last but not least ist Fehlertoleranz gefragt: das gewünschte Verhalten läßt sich eben nicht von einem Tag auf den anderen entwickeln. Stattdessen dürfen auch die engagiertesten Managerinnen damit rechnen, in alte Muster zurückzufallen. Plötzlich mischt man sich wieder ein, steuert operative Tätigkeiten, maßregelt Mitarbeiter, ignoriert Abstimmungsbedarf. Es hilft, sich solche Regressionen zuzugestehen und als Symptome eines eben oft mühsamen Verlernens zu sehen. Es hilft noch viel mehr, wenn man kritisches Feedback dazu annehmen kann und sich nicht gleich zu rechtfertigen beginnt. Und eine gesunde Portion Humor hat auch noch niemanden geschadet, wenn es darum geht, seine eigenen Widersprüche wahrzunehmen und daraus zu lernen.

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